Berlin ist eine linke Insel?!
Wer das heute noch behauptet, ignoriert die Realität, die wir tagtäglich erleben – als Unterstützungsstruktur für Geflüchtete und als Teil der Zivilgesellschaft.
Rechte Gewalt ist in dieser Stadt längst kein Randphänomen mehr, sondern Alltag. Und es betrifft uns alle – Betroffene, Helfende, Engagierte.
Ein kleiner Ausschnitt aus dem, was in Berlin in den letzten Jahren geschehen ist:
- 246 rechte Straftaten im ersten Halbjahr 2024 in Lichtenberg, ein Anstieg um fast 70 % im Vergleich zu 2022. (Quelle: rbb24, Juni 2024)
- 72 politisch rechte Anschläge im Neukölln-Komplex zwischen 2009 und 2021 – darunter mindestens 23 Brandanschläge, u. a. auf Autos von Antifaschist*innen, Vereinsräume und Wohnungen. (Quellen: Tagesspiegel, Apabiz, NSU-Watch Berlin)
- Ferat Koçak, Linken-Politiker, überlebte 2018 nur knapp einen Brandanschlag. Sein Auto wurde direkt vor dem Wohnhaus seiner Eltern angezündet, das Feuer griff über. Nur durch Zufall wurde niemand verletzt. Die Täter waren dem Verfassungsschutz bekannt. Hinweise auf die Anschlagspläne lagen vor – doch Koçak wurde nicht gewarnt. (Quellen: NSU-Watch Berlin, Berliner Zeitung, Koçak selbst)
- Burak Bektaş, 22 Jahre alt, wurde 2012 in Berlin-Rudow erschossen. Bis heute wurde kein Täter ermittelt. Ein rechtes Tatmotiv liegt nahe – Aufklärung blieb aus.
- Luke Holland, 31, wurde 2015 von einem Neonazi in Neukölln erschossen. Beim Täter wurden Waffen, NS-Devotionalien und Propagandamaterial gefunden. Die Tat wurde nicht als politisch eingestuft.
- Momo, 13 Jahre alt, wurde in der Halloween-Nacht 2020 im Monbijoupark erstochen. Der Täter wurde später wegen Mordes mit rassistischem Motiv verurteilt. (Quelle: Berliner Zeitung, taz)
- Queerfeindliche Gewalt: Über 1.700 angezeigte Straftaten im Jahr 2023 in Berlin wegen sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität. (Quelle: Polizei Berlin)
- Anschlag auf das Schwule Museum in Berlin-Tiergarten: 2023 wurden Schüsse auf die Fensterscheiben abgegeben. (Quelle: Tagesspiegel)
- Brandanschlag auf das Lesbenwohnprojekt RuT in Berlin-Neukölln im August 2023 – mutmaßlich gezielt gegen queere Sichtbarkeit.
- Schwerer homophober Angriff im Hansaviertel: Ein 67-jähriger Mann wurde brutal getreten und geschlagen – mitten am Tag, mitten in Berlin. (Quelle: queer.de, April 2024)
- Feindeslisten bei Neonazis in Berlin: mit Namen, Adressen und Fotos – auch von bekannten Engagierten. Behörden ignorierten Warnungen über Jahre.
Auch wir sind betroffen: Unsere Räume wurden bedroht, unsere Ehrenamtlichen eingeschüchtert. Die Menschen, mit denen wir arbeiten – viele aus Khartum, Kabul oder Teheran, Aleppo,
Kurdistan – erleben in Berlin wieder Angst. Nicht vor Bomben, sondern vor rechter Gewalt, Polizeiversagen und öffentlichem Schweigen.
Wer jetzt immer noch so tut, als gäbe es in Berlin kein Problem mit rechter Gewalt, der will es nicht sehen.
Diese Entwicklungen zeigen nicht nur, wie dringend politische Reaktion gefragt ist – sie machen auch deutlich, dass Strukturen wie ReachOut, die Berliner Register, die
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, KOP, Each One Teach One, RuT oder eben auch Moabit hilft nicht nur gefördert, sondern dauerhaft abgesichert
gehören. Es darf nicht jedes Jahr neu zur Debatte stehen, ob diese Arbeit „noch leistbar“ ist.
Der Schutz vor rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt darf nicht davon abhängen, ob im Haushalt gerade Mittel übrig sind. Diese Strukturen sind keine „Projekte“, sondern Teil der
demokratischen Grundversorgung dieser Stadt. Ihre gesicherte Finanzierung muss selbstverständlich sein – und darf nicht zur Verhandlungsmasse werden.
Ebenso selbstverständlich muss sein, dass rassistische, antisemitische oder queerfeindliche Vorfälle innerhalb von Verwaltung, Polizei oder staatlichen Institutionen ernst genommen, konsequent
geahndet und sichtbar sanktioniert werden. Die Realität der letzten Jahre zeigt: Allzu oft wurde weggeschaut, verharmlost oder schlicht nichts unternommen. Rassismus in öffentlichen Strukturen
darf kein Tabu mehr sein – sondern ein Grund für dienstrechtliche und politische Konsequenzen.
Wir fordern vom Berliner Senat:
• endlich klare, öffentliche Worte gegen rechte Gewalt
• echte Schutzmaßnahmen für Betroffene und solidarische Einrichtungen
• vollständige Aufklärung rechter Netzwerke – auch innerhalb staatlicher Strukturen
• politische Rückendeckung und eine verlässliche Finanzierung für die, die diese Arbeit jeden Tag leisten
• ein klares Vorgehen gegen Rassismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit innerhalb der Berliner Verwaltung – ohne Wegschauen, ohne Relativierung
Berlin ist nicht mehr sicher für alle – und wer das nicht sehen will, macht sich mitschuldig.
Wir erwarten Haltung. Wir erwarten Taten.